Ziele flow-freundlich formulieren
Ziele flow-freundlich formulieren
Neustart! – Ein neues Jahr hat begonnen. Zum Jahresbeginn waren die Titelseiten noch voll mit Tipps zur Formulierung von Vorsätzen. Nun ist es wieder still. Sind sie schon vergessen, die Ziele für den neuen Abschnitt? Gut möglich, denn wenn Zielsetzungen nicht flow-freundlich sind, fegt man sie schnell vom Tisch.
Es gibt Ziele, die flow-Erlebnisse verhindern. Dazu zählen diejenigen, die so hoch erscheinen, dass sie Stress auslösen. Realistisch sollen Ziele sein. Das klingt vielleicht nicht neu, wird aber oft vergessen. flow-feindliche Ziele liegen außerdem weit in der Zukunft. Denn so lässt der flow lange auf sich warten. Merke: Flusserleben geschieht nicht in der Zukunft, sondern im Moment. Eine weitere anti-flow-Methode besteht darin, dass man ausschließlich auf äußerliche und messbare Ergebnisse abzielt, zum Beispiel auf Produkte, Umsätze oder mehr Arbeit pro Zeit. Diese Methode ist hoch im Kurs. Und sehr bedauerlich.
Geht’s auch flow-freundlicher?
Wie es positiver geht, zeige ich in diesem Beitrag. Dabei lege ich den Schwerpunkt auf die flow-freundliche Formulierung von Zielen im Alltag; also auf die attraktive Gestaltung von Aufgaben, die fast jeden Tag anstehen. Alltag mag zwar nach Langeweile klingen, doch bleibt er das beste Übungsfeld. Denn Alltagssituationen bieten die unmittelbare Chance zum flow zwischendurch – im Beruf, beim Sport und im Kontakt mit Menschen. Sie wird allzu oft vergeben.
Verwirrender Berater-Rat
Auf der Fahrt zu mehr flow-Freundlichkeit werfe ich einen Blick in einen Coaching-Ratgeber. Es sei wichtig, Ziele zu haben, lese ich dort. Schon mal gehört, denke ich mir. Ein paar Zeilen weiter steht in fetten Buchstaben: „Wer erfolgreich sein will, muss sich Ziele setzen“.
Woanders lese ich von der S.M.A.R.T.-Regel. Sie sei unverzichtbar und besagt, dass eine Zielformulierung mehrere Kriterien erfüllen sollte: Sie soll spezifisch, messbar, aktionsorientiert, realistisch und terminiert sein [1]. Altbekannte Ratschläge, allerdings hinterfrage ich ihre Alltagstauglichkeit.
„Menschen sind keine Zielerfüllungsmaschinen“ lese ich zufällig bei Veit Lindau [2]. Dieser Satz hört sich ungewöhnlich an. Nach kurzer Überlegung stimme ich zu: Ja, wenn ich nur nach Ergebnissen hetze, stehe ich immer Druck, aber lebe nie erfüllt.
Zugleich finde ich Ziele außerordentlich wichtig. Wozu sind sie eigentlich gut?
Ziele haben, so weiß die Motivationspsychologie, eine handlungsregulierende Funktion [3]. Vor der Handlung motivieren sie, den Hintern hochzukriegen und loszulegen. Während der Handlung helfen sie, die Spur zu halten. Und nach Abschluss der Handlung dienen sie der Rückmeldung und der Bewertung. Durch Zielsetzungen im Voraus wird der Erfolg im Nachhinein greifbar – und zwar nicht nur der Erfolg, sondern auch der Misserfolg. Die Furcht vor der Enttäuschung ist wohl ein Hauptgrund dafür, weshalb sich viele Menschen mit Zielsetzungen schwer tun. Davon steht nichts im Coaching-Ratgeber. Vielleicht lese ich den falschen?
Eine Internet-Recherche macht die Verwirrung komplett. Experten sprechen von verschiedenen Ziel-Arten: Es gibt nämlich Leitziele, Lernziele, Leistungsziele, Mittlerziele, Ergebnisziele, Teilziele, Prozessziele, „Do-your-best“-Ziele, Vermeidungsziele, Handlungsziele… die Liste ist noch lang. Für meinen Alltag ist das zu theoretisch und ungeordnet. Also wenig hilfreich für einen Zustand, bei dem im Bewusstsein Ordnung herrscht [4].
Was die flow-Forschung sagt
flow-Erleben tritt auf, wenn Aufmerksamkeit optimal gebündelt wird. Ein flow-freundlich formuliertes Ziel ist ein wirksames Mittel, um die Aufmerksamkeit einzustellen und flow wahrscheinlicher zu machen. Aus der flow-Forschung lässt sich eine Reihe von Prinzipien ableiten, die bei der Formulierung flow-freundlicher Ziele helfen:
Klar skizzieren
Mihaly Csikszentmihalyi, der Begründer der flow-Forschung, nennt „klare Ziele“ als eine zentrale Bedingung für flow-Erlebnisse. Je schärfer man das Ziel bestimmt, desto eindeutiger zeigen sich die Wege dorthin, desto weniger muss ich auf dem Weg darüber nachdenken. Das planende und reflexive Denken verbraucht weniger Energie. Bei der Klärung eines Ziels hilft die Sprache. Also: Packen Sie Ihr Ziel in Worte, so präzise wie möglich.
Positiv ausrichten
Ein weiterer Punkt mit flow-Relevanz ist die positive Formulierung des Ziels. Das heißt, ich beschreibe, was ich erreichen will und darauf lege ich den Schwerpunkt. Damit bekommt das, was ich vermeiden will, weniger Gewicht. Mir persönlich hilft es manchmal, beide Seiten zur Sprache zu bringen; also sowohl das erwünschte als auch das unerwünschte Ergebnis. Ich bin kein Freund einer naiven „Think positive“-Ideologie, sondern ein Freund der Wahl. Wenn ich das angezielte und das zu vermeidende Ergebnis auf dem Schirm habe, dann habe ich die Wahl, wohin ich meine Energie lenke.
Aktionsorientiert formulieren
flow-freundliche Ziele erreicht man durch aktives Handeln. Ein Ziel, das ohne dein Zutun auf dich zukommt, ist erstens kein Ziel und zweitens nicht flow-freundlich. flow-Erleben tritt während des Tuns auf, nicht während des Wartens. Wer wartet, ist passiv. Aktiv ist, wer sich aus eigener Kraft auf ein Ziel zubewegt. Dass dabei Unsicherheit entsteht, ist natürlich und notwendig. Eine gewisse Spannung ist sogar erforderlich, um flow-Momente reinzulassen. Den Spannungsregler hast Du in der Hand.
Ergebnisziele und Erlebnisziele
Viele Menschen verbieten sich, auf dem Weg zum Ziel positiven Gefühlen zu begegnen. Der Weg, so tönt die Tradition, müsse schweißtreibend und schwer sein, bitter und hart. Das jedoch – meine Damen und Herren – ist das Gegenteil von flow.
Warum sollte das Erleben auf dem Weg nicht leicht sein, fröhlich und freudevoll? Mein Plädoyer lautet, dem schönen Erleben mehr Platz zu geben! – Mehr Platz für positive Empfindungen, Gefühle und Gedanken während der Tätigkeit, und nicht erst danach.
Um dem näher zu kommen, unterscheide ich zwischen Ergebniszielen und Erlebniszielen: Ein Ergebnisziel liegt in der Außenwelt. Deswegen ist die Zielerreichung objektiv überprüfbar. Die Besteigung eines Berges zum Beispiel ist ein Ergebnisziel. Sie haben es erreicht, wenn Sie nach dem Aufstieg auf dem Gipfel stehen. Ein Erlebnisziel liegt in Ihrer Innenwelt. Denn Erlebnisse wie Kribbeln oder Freude finden per Definition innerlich statt. Sie sind subjektiv, also nur durch Sie überprüfbar. Außenstehende können nur interpretieren, was in Ihnen vorgeht.
Mein Tipp: Ergänzen Sie Ihre Zielformulierung um ein Element, das den flow magnetisch anzieht: nämlich um das erwünschte positive Erleben während der Tätigkeit, die Ihnen bevorsteht. In einer Formel könnte das folgendermaßen klingen: Ich mache x, damit ich y erreiche und währenddessen erlebe ich z. Für x setzen Sie eine Tätigkeit ein, für y etwas Messbares und für z eine positive Empfindung oder ein Gefühl. Zum Beispiel: "Ich räume meinen Schreibtisch auf (Tätigkeit), damit alles nach fünf Minuten einsortiert ist (messbares Ergebnis) und währenddessen erlebe ich Leichtigkeit (erlebte Empfindung). Die Variable z steht für das Erlebnisziel und erhöht die flow-Freundlichkeit der Zielsetzung. Die Umsetzung ist verblüffend wirksam und steigert die Kreativität. Probieren Sie es aus und geben Sie sich ein paar Versuche! Sie können diese Form der Zielsetzung prinzipiell vor jeder Tätigkeit ausüben. Setzen Sie sich kleine Ergebnisziele und gleichzeitig Erlebnisziele. Wenn Sie wollen, mehrmals am Tag.
Nach dem Ziel ist vor dem Ziel
Wer sich flow-freundliche Ziele setzt, bekommt flow-freundliche Rückmeldung. Es mag banal klingen, aber wer mehr flow in den Alltag bringen will, beginnt am besten mit kleinen Schritten. Kurze und häufige Rückmeldungen kann das Bewusstsein besser verdauen als große und seltene Feedback-Klöße. Zudem ist die Rückmeldung von Ihnen und von Anderen die wichtigste Voraussetzung für die Übernahme von Eigenverantwortung und für effektives Lernen. Ach ja… übrigens: Lernen braucht lohnende Pausen. Und flow auch.
Haben Sie heute schon pausiert?
Fussnoten
[1] Die S.M.A.R.T.-Regel findet sich gut ausgearbeitet in Systemisches Handwerk von Fryszer und Schwing.
[2] Zum Beispiel steht der Satz sinngemäß in Veits Buch Werde verrückt , erschienen 2015 im Kailash Verlag
[3] Zum Thema „Ziele und Motivation” schreibt Kleinbeck ein ganzes Kapitel im Standardwerk Motivation und Handeln von Heckhausen & Heckhausen.
[4] Mihaly Csikszentmihalyi bezeichnet diese „Ordnung im Bewusstsein“ als Negentropie, im Unterschied zur chaotisch-lauten Entropie. Siehe die Seiten 57-63 in Flow – Das Geheimnis des Glücks, Klett-Cotta Verlag, 1992.
[5] Rückmeldung ist eine Stellschraube im flow4x4 Modell von flow in concept.