flow to Teal – Zum Besten wachsen durch positive Erlebnisse
„Ich habe mich lange nicht mehr so in meiner Kraft gefühlt“, sagte eine Führungskraft in der Abschlussrunde eines Trainings mit Dr. Baldinger & Partner. Der etwa 50-jährige Mann war sichtlich berührt. Mit seiner Aussage meinte er die Erfahrung während einer Visualisierungsübung zur flow-Thematik am Abend zuvor.
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flow, was ist das? – Musiker kennen es als „Groove”, Athleten sprechen von „The Zone”, und einige Business-Gurus geben alles dafür, um daraus Spitzenleistung zu schöpfen. Die meisten Menschen jedoch erfahren flow als das innere Aufgehen im Moment einer Tätigkeit; begleitet von einem Gefühl der Leichtigkeit und Emotionen der Kraft, Verbundenheit und Freude.
Leichtigkeit, Wirksamkeit, im Moment des Tuns aufgehen – Was wäre, wenn Führungskräfte und Mitarbeiter das häufiger erleben und bewusst auslösen könnten?
Aus psychologischer Sicht ist flow ein natürlicher Bewusstseinszustand. Das heißt, flow-Erleben ist allen Menschen zugänglich und benötigt keine Substanzen – weder körpereigene Hormone noch psychoaktive Drogen. Trotzdem erleben Menschen im flow sich und ihre Umwelt anders als im Normalzustand. Denn im Vergleich zu anderen natürlichen Zuständen wie Stress oder Traum zählt flow-Erleben zu den „extraordinary states of consciousness“: flow ist ein außergewöhnlicher Funktionsmodus des Bewusstseins, den Menschen nur selten erkennen und nutzen – erst recht nicht im Job.
Mit dem Aufkommen der Teal Organizations ändert sich das. So lautet meine These und zugleich meine Prognose. Teal-orientierte Unternehmen implementieren flow-Erleben und andere positive Zustände explizit in ihre Strategie, Kultur und alltägliche Praxis. Positive Erlebnisse und Teal Organizations sind eng miteinander verknüpft. Um es metaphorisch auszudrücken: Wenn Teal für Organisationen das beste Betriebssystem ist, dann ist flow der beste Prozessor.
flow ist der beste Prozessor für das Betriebssystem Teal.
In diesem Prozessmodus sind Menschen mit voller Aufmerksamkeit bei ihrer Tätigkeit, navigieren effizienter durch komplexe Aufgaben, treffen bessere Entscheidungen und haben Zugriff auf ihre Flexibilität und Innovationskraft. Seit über 40 Jahren liefert die Forschung empirische Befunde für die positive Wirkung von flow-Erlebnissen auf die Leistungsfähigkeit, Kreativität und Zufriedenheit.
Populär wurde das Phänomen durch die Publikationen seines Namensgebers: der Pate der flow-Forschung Mihaly Csikszentmihaly benannte den Zustand erstmalig als „flow”, als er Künstler zu den Erlebnissen während ihres Schaffens interviewte. Das war 1975. Seitdem liefert die flow-Forschung zahlreiche Studien mit Athleten, Tänzern, Musikern, Chirurgen, Projektteams und Führungskräften. Aus subjektiver Perspektive kennzeichnet sich flow unter anderem durch eine veränderte Wahrnehmung der Zeit, durch das Verstummen negativer Selbstreflexion, durch die intrinsische Freude am Tun und durch ein angenehmes Gefühl der Kontrolle.
Die Neurowissenschaft belegt flow-Zustände durch bildgebende Verfahren.
Die qualitativen flow-Merkmale sind mittlerweile neurowissenschaftlich abgesichert. Im Zustand des flow zeigt das menschliche Gehirn eine erhöhte Aktivität im unteren frontalen Gyrus – ein Hinweis für gesteigertes Selbstvertrauen und erlebte Kontrolle. Zudem reduziert sich die Aktivität in der Amygdala und im präfrontalen Cortex, was auf geringere negative Erregung und weniger Grübeln hindeutet. Dass Menschen in diesem Modus eine hohe Leistung erbringen, schnelle Lernfortschritte machen und mit Zuversicht Herausforderungen angehen, steht für mich außer Frage.
flow ist ein Ausgangspunkt für Höchstleistung, aber nicht dasselbe! In diesem Punkt nehme ich eine strengere und präzisere Perspektive ein als viele Vertreter des flow-Konzepts im Bereich Training und Coaching. flow-Erleben ist weder achtsame Innenschau noch eng fokussierte Konzentration, sondern liegt genau dazwischen. Es markiert sozusagen die goldene Mitte zwischen „Gipfelerlebnis“ und Höchstleistung (siehe Abbildung 1): In dieser Zone sind Menschen imstande, sehr flexibel und dynamisch zu agieren — sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung des horizontalen Spektrums der positiven Bewusstseinszustände.
Teal orientierte Führungskräfte und Trainer haben erkannt, dass das gesamte Spektrum für die Entwicklung einer Organisation von Bedeutung ist. Das Grundprinzip der Ganzheit greift in Teal Organizations sowohl im strukturellen Bereich der Persönlichkeit, als auch im prozessualen Bereich des Erlebens. Die Bewusstseinsforschung untermauert die Vorteile dieser Sichtweise: Wenn Menschen die komplette Bandbreite der positiven Zustände ausloten, kommen sie häufiger in den flow. Wer häufiger im flow ist, hat leichteren Zugang zur kompletten Bandbreite. Das eine bedingt das andere.
Exklusives Streben nach Peak performance ist einseitig maskulin – und deswegen ungesund.
Im Unterschied dazu zählt in konventionellen Organisationen ausschließlich die individualisierte Leistung – und die Frage, wie Menschen in Peak Performance-States kommen, um maximale Leistung zu liefern. So gesehen interessieren sich orange-orientierte Führungskräfte nur für ein Drittel des Spektrums der positiven Funktionszustände. Selbst wenn der flow-Begriff verwendet wird, dann in Verwechslung oder Vermischung mit Peak Performance. Das entspricht einer einseitig maskulinen Auffassung, die sich zum Beispiel in Steven Kotlers Bestseller „The Rise of Superman” niederschlägt. Er überträgt die flow-Stories von Extremsportlern auf die Businesswelt. Aber nach Qualitäten wie tiefer Intuition und geduldigem Zuhören, die eher feminin besetzt sind, sucht man bei Kotler vergebens.
Auch in Teal Teams kommen Praktiken zum Einsatz, die alle Kräfte der Mitarbeiter bündeln und Bestleistungen hervorbringen. Doch im Unterschied zur konventionellen Einseitigkeit würdigt Teal das andere Ende des Spektrums gleichermaßen – und das aus gutem Grund. Denn an diesem Ende liegen Zustände, in denen das menschliche Bewusstsein offener und empfänglicher für tiefere Erkenntnisse und intuitive Einsichten ist. Dazu gehören beispielsweise Peak Experiences im Sinne von Abraham Maslow.
Teal Unternehmen pflegen Praktiken, um diese rezeptiven Zustände gezielt zu ermöglichen. Man denke an das sogenannte „Presencing” aus der Theorie U, die Empty-Chair-Methode oder meditative Praktiken. Frederic Laloux bezeichnet sie als „practices to listen in to evolutionary purpose”. Der evolutionäre Sinn, ein weiteres Grundprinzip teal-orientierter Organisationen, wird dadurch kultiviert. Klar, denn wie sollen sich einzelne Menschen und ganze Organisationen aus sich selbst heraus entwickeln – ohne tiefere Selbstreflexion?
Zusammenfassung
flow-Erleben ist ein natürlicher und positiv erlebter Funktionszustand der menschlichen Psyche. Im flow-Zustand haben Menschen weniger negative Erregung und zirkuläre Gedanken. Selbstvertrauen, Intuition und erlebte Kontrolle sind erhöht.
Forschungsergebnisse belegen die positive Wirkung von flow-Erlebnissen auf die Leistungsfähigkeit, Innovation und Zufriedenheit.
flow ist ein flexibler und dynamischer Zustand in der „goldenen Mitte“ zwischen Gipfelerfahrung und Höchstleistung.
Teal orientierte Unternehmen nutzen das ganze Spektrum positiver Funktionszustände: von Peak Performance bis Peak Experience (Grundprinzip „Ganzheit“).
flow-Erleben ist ein günstiger Ausgangspunkt, um zum Wohle der Organisation eine rezeptive Haltung einzunehmen (Grundprinzip „evolutionärer Sinn“ ).
Bewusstseinszustände sind beeinflussbar: durch die Schaffung von Rahmenbedingungen und durch State Management Training.
State Management ist die radikalste Verwirklichung des Teal Grundprinzips „Selbstmanagement“ auf psychologischer Ebene.
Konventionelle Unternehmen bemessen Entwicklung an quantitativen Ergebnissen und Marktanteilen. Teal-orientierten Unternehmen ist es wichtiger, dem größeren Sinn zu folgen – und der Erfolg ergibt sich von selbst. Doch unabhängig von beiden Paradigmen bleibt eines gleich: Entwicklung ist mit Anstrengung verbunden; Change und gesundes Wachstum erfordern Aktivität und Motivation. Vor diesem Hintergrund finde ich aus der Trainerperspektive zwei Fragen interessant:
Was wäre, wenn Führungskräfte und Mitarbeiter ihre Arbeit mit weniger Anstrengung und mehr Freude erleben würden? Genau das geschieht im flow. In diesem Bewusstseinsmodus nehmen Menschen sogar objektiv anstrengende Tätigkeiten so wahr, als ob sie leicht von der Hand gingen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um körperlich-sportliche oder kognitiv anspruchsvolle oder kommunikative Aufgaben handelt. Zudem steckt in jedem flow-Moment ein außerordentlich motivierendes Potenzial. Denn was Menschen direkt motiviert, sind positive Erlebnisse. Ziele und Ergebnisse motivieren „nur“ indirekt. Positive Bewusstseinszustände sind das kausale Motiv allen Tuns.
Und was wäre, wenn flow nicht zufällig wäre, sondern beeinflussbar? Was wäre, wenn flow – und jeder andere positive Zustand – gezielt herbeigeführt werden könnte; und zwar nicht nur durch äußerliche Bedingungen wie neue Arbeitsräume oder digitale Technologien, sondern selbstbestimmt von Moment zu Moment? Die geläufige Meinung lautet, dass man nicht absichtlich in den flow kommen könne. Deswegen setzen die Vertreter eines konventionellen Coachingkonzepts an den äußeren Bedingungen an. Doch mit der Entwicklung teal-orientierter Organisationen entwickelt sich auch ein neues Coaching-Paradigma für Führungskräfte und Teams. Ein Ansatz, der davon ausgeht, dass Menschen ihren Funktionsmodus selbst regulieren können.
Die selbstbestimmte Regulation des inneren Zustands ist für mich die radikalste Verwirklichung des dritten Grundprinzips einer Teal Organization: des Prinzips des Selbstmanagements. Menschliche Bewusstseinszustände sind unabhängig von Hierarchien. Mit etwas Wissen und Beharrlichkeit im State Management-Training kann jeder Erwachsene die Eintrittswahrscheinlichkeit und Intensität seiner flow-Momente drastisch erhöhen.
Ein flow-freundliches Mindset hilft in der VUCA-Welt.
Wenn ich das Thema „flow State Management“ in Unternehmen einführe, kombiniere ich derzeit zwei Ansätze: Für den Einstieg über die kognitive Ebene setze ich an den Auswirkungen der Digitalisierung an: Was in der Dynamik der VUCA-Welt hilft, ist ein flow-freundliches Mindset. Wenn flow-Erleben ein innerer Prozess ist, dann bildet das Mindset die psychologische Struktur (siehe Abbildung 2).
Ich definiere ein flow-freundliches Mindset als eine innere Haltung, die positive Zustände bei allen Tätigkeiten zu verwirklichen sucht. Vielleicht ist es ein Upgrade zu einem „Growth Mindset” oder zu einem „agilen Mindset”, da es sich nicht nur durch Entwicklungsbereitschaft auszeichnet, sondern darüber hinaus durch die momenthafte Regulation der eigenen positiven Zustände.
Mein zweiter Zugang setzt an der körperlich-emotionalen Ebene an. Die meisten Menschen finden flow-Erlebnisse dann reizvoll und erstrebenswert, wenn sie einen Geschmack davon bekommen. Dieses „Referenzgefühl“ kann zum Beispiel durch eine handlungsorientierte Übung ausgelöst werden, oder durch eine Aktivierung eines persönlichen flow-Moments aus der Vergangenheit.
Die intensive Erinnerung und Verkörperung eines Augenblicks im flow hat den Mann im Führungskräftetraining so tiefgreifend berührt, dass er nach dem Training mehr in seiner Kraft war als vorher.
Dieser Online-Artikel von Dr. Simon Sirch wurde zeitgleich im Magazin “Schatzkiste” von Dr. Baldinger & Partner – Institut für Coaching und Training – publiziert. Das Unternehmen der Alpha Inspiration GmbH ist Netzwerkpartner von flow in concept.
Der Begriff “Referenzgefühl” stammt von Andreas Burzik. Der Violinist und Psychotherapeut hat die Methode “Üben im flow” für Musiker entwickelt. Andreas ist ebenfalls Netzwerkpartner von flow in concept.