Warum jedes Unternehmen flow-Bedingungen schaffen sollte

Warum jedes Unternehmen flow-Bedingungen schaffen sollte

Jeder Berufstätige leistet zwei Jobs zur gleichen Zeit: Im ersten zeigt man seine Stärken, im zweiten versteckt man seine Schwächen. Letzteres frisst Energie. Die Unterdrückung von Frust und Enttäuschung im Job erfordert gewaltige Anstrengungen – auf Kosten der Motivation, der Gesundheit und des Privatlebens. Auswege zeigt eine neue Studie. 

Harvard-Psychologe Robert Kegan berät Menschen und Unternehmen in Veränderungsprozessen. Sein aktuelles Buch An everyone culture startet mit einer schockierenden Beobachtung: In den meisten Organisationen, schreibt er, hat jeder Mitarbeiter einen zweiten Job, für den er nicht bezahlt wird. Sich stets von der besten Seite zeigen; ständig die eigenen Schwächen überspielen; immer so tun, als ob einem Rückschläge nichts ausmachen – all das steht auf einer Stellenbeschreibung, über die kaum jemand spricht. In diesen „Nebenjobs“ besteht laut Kegan die größte Verschwendung von Ressourcen, die sich Unternehmen leisten.

Disziplin ist ein entbehrlicher Energiefresser

Zwanghafte Firmenkulturen gehen auf Kosten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Doch die hätten Wichtigeres zu tun: Die meisten Berufstätigen sind mit zunehmenden Arbeitsbelastungen konfrontiert. Dazu zählen hochkomplexe Aufgaben, die unter Zeitdruck erledigt werden müssen, aber auch scheinbare „Kleinigkeiten“ wie der nörgelnde Kunde, IT-Probleme, die Kritik des Vorgesetzten und so weiter. Was ist notwendig, damit man angesichts der Belastungen gesund bleibt – und weder explodiert noch ausbrennt? Viele antworten: Mehr Selbstkontrolle. Meine Antwort heißt: mehr flow. 

Zwischen Commitment und Gesundheit: flow-Momente vermitteln das Gute

Belege für meine Sichtweise liefert eine Studie der Technischen Universität Dortmund. 2016 untersuchte das Forscherteam aus Wladislaw Rivkin, Stefan Diestel und Klaus-Helmut Schmidt, welche täglichen Erlebnisse zum Wohlbefinden im Job beitragen. Ihr Fazit: An Tagen mit einem hohen Maß an flow-Momenten konnten die Mitarbeiter die Anforderungen an ihre Selbstkontrolle deutlich besser bewältigen. Im Gegenzug schädigen Selbstkontroll-Anforderungen das psychische Wohlbefinden der Mitarbeiter, wenn das flow-Level niedrig war. 

Das Commitment auf etwas Größeres – zum Beispiel auf ein Unternehmen – ist eine von 16 flow-Stellschrauben.

Das Commitment auf etwas Größeres – zum Beispiel auf ein Unternehmen – ist eine von 16 flow-Stellschrauben.

Darüber hinaus bestätigt die Untersuchung, dass sich die emotionale Verbindung der Mitarbeiter zum Unternehmen positiv auf deren Wohlbefinden auswirkt – und umgekehrt. Positive Emotionen spielen in der Identifikation mit einer Firma die zentrale Rolle. Spannend ist, dass flow-Momente diesen Zusammenhang verstärken. flow wirkt sozusagen als Katalysator zwischen emotionalem Commitment und Mitarbeitergesundheit. 

Eine flow-Schicht gegen Stress

„Aber Arbeit ist nun mal Stress!“ höre ich Führungskräfte sagen. „Es gibt Zeiten, in denen man sich zusammenreißen und auf die Zähne beißen muss“. Stimmt. Sogar beim besten Arbeitgeber gibt es täglich Phasen, die große Willensanstrengung und hohe Selbstkontrolle erfordern. Das erleben wir als Stress! Bemerkenswert ist jedoch, dass die negativen Auswirkungen dieser Anstrengung durch flow-Erlebnisse abgedämpft werden. Trotz stressiger Ereignisse, so zeigt die Studie, bleibt bei Mitarbeitern mit flow-Momenten das Wohlbefinden stabil. Am Abend berichten diese Probanden von geringer Abgeschlagenheit und wenig Erholungsbedürfnis. Stattdessen betonen sie ihre Erfüllung – durch ihren Einsatz und ihre Lebendigkeit im Verlauf des Arbeitstages. Wer möchte nicht mit dieser Stimmung in den Feierabend starten?

Mehr flow für alle hängt an einem: An aufgeweckten Führungskräften

flow-Momente puffern Stress. Andererseits vermitteln sie zwischen Wohlbefinden und dem Commitment zum Unternehmen.

Die Abbildung zeigt das Modell von Rivkin, Diestel & Schmidt (2016) in vereinfachter Form.

flow-Momente während der Arbeit puffern also Stress, stärken das Wohlbefinden und steigern die gefühlte Verbindung der Mitarbeiter zum Unternehmen. Eine positive emotionale Verbindung zur Organisation erhöht wiederum die flow-Wahrscheinlichkeit während der Arbeit. Damit untermauert die Studie von Rivkin und seinen Kollegen das flow4x4 von flow in concept: In meinem Modell ist das „Commitment zu etwas Grösserem“, zum Beispiel zu einer Firma, eine von 16 flow-Stellschrauben. 

An Stellschrauben kann man drehen. Das wissen auch die drei Forscher aus Dortmund. Obwohl ich ihre Untersuchungsmethodik und ihren Anregungen in einzelnen Punkten kritisch sehe, schätze ich den Bezug zum Arbeitsalltag. Deswegen übersetze ich ihre „Practical Implications“ für Ihren Alltag im Beruf:

Ablenkungsquellen reduzieren, so lautet ein konkreter Tipp. Wer häufig gestört wird oder sich unterbrechen lässt, bleibt nicht im flow-Kanal oder kommt gar nicht erst rein. Unterbrechungen im Arbeitsfluss können zwar kompensiert werden, kosten aber Stress, Frustration und übermäßigen Aufwand. Das belegt eine experimentelle Studie der Universität von Kalifornien und der Humboldt Universität Berlin. Aus diesem Grund baue ich Zeiträume in meinen Arbeitstag ein, in denen ich Handy und Email-Programm ausschalte, um ungestört eine Aufgabe zu erledigen. Zum Beispiel jetzt, während des Schreibens. Zu welcher Tageszeit und für welche Aufgaben richten Sie sich diese Zeiten ein? 

Grundlegende Bedürfnisse der Mitarbeiter erfüllen. Dazu gehören Verbundenheit, Kompetenz und Selbstbestimmung. Das Bedürfnis nach Verbundenheit erfüllen den Autoren zufolge beispielsweise Firmen-Events. Das Bedürfnis nach Kompetenz erfüllen Aufgabenstellungen, die den Mitarbeiter reizen und ihn in seinen Fähigkeiten wachsen lassen. Und das Bedürfnis nach Selbstbestimmung lässt sich durch weniger Regeln und mehr Freiheit beantworten.

Aber beachten Sie folgendes: Bedürfnisse verändern sich mit dem Entwicklungsniveau eines Menschen. Viele Beratungs-Ansätze vergessen das. Im Ansatz von flow in concept ist diese Dimension enthalten. 

Führungsstil ausbauen. In erster Linie sind es die Führungskräfte, die flow-freundliche Bedingungen im Arbeitsalltag initiieren und aufrecht erhalten. Selbstverständlich erfordern unterschiedliche Mitarbeiter und Situationen unterschiedliche Führungsstile. Grundlegend empfehlen die Autoren jedoch einen Führungsstil, der alle Interessengruppen einbezieht und die Stärkung der Mitarbeiter zum Ziel hat. Dann wären wir im Sinne von Kegan auf einem guten Weg zu einer Unternehmenskultur für alle. 

Wenn man verschiedene Interessen „auf dem Schirm“ haben will, hilft ein erweitertes Bewusstsein. Wer andere Menschen bestärken möchte, dem helfen starke Erlebnisse. flow ist beides: ein erweiterter Zustand des Bewusstseins und eine kraftvolle Erfahrung. 

 

Simon Sirch