Was flow Unternehmen bringt: 4 gesicherte Sofortwirkungen
„Was soll das bringen, dieser flow?” — Wenn ein Chef der alten Schule seine Skepsis ehrlich äußert, finde ich das klasse! Denn ich weiß: Tief im Herzen haben erfahrene Führungskräfte dieselbe Sehnsucht wie wir alle. Sie sehnen sich nach den Momenten, wenn es wie am Schnürchen läuft. Meine Damen und Herren, „flow” ist das neue Wort dafür! Effizienz, Innovation, Flexibilität und Sinn – vereint in einem Zustand.
In diesem Beitrag erkläre ich vier gesicherte Wirkungen des flow-Zustands und verdeutliche den sofortigen und direkten Nutzen für Organisationen. Ich untermauere meine Thesen mit Erkenntnissen aus Psychologie und Neurowissenschaft. Sie werden besser verstehen, warum und wie Ihre Mitarbeiter davon profitieren. Im Anschluss gebe ich Hinweise zur systematischen Förderung von flow-Bedingungen in Unternehmen.
Was ist flow?
Seit seiner Benennung durch Mihaly Csikszentmihalyi 1975 steht „flow” in der Arbeitspsychologie für einen positiven Bewusstseinszustand, der während einer produktiven Tätigkeit auftreten kann. Der flow-Zustand motiviert Menschen direkt und ist laut psychologischer Forschung die Quelle für intrinsische Motivation.
flow ist ein naheliegender Zustand, der jederzeit während einer Tätigkeit realisiert werden kann. Ein aufgeklärter flow-Zustand verbindet subjektives positives Erleben mit objektiv messbaren Ergebnissen, die zur Wertschöpfung eines Unternehmens beitragen. Insofern trägt die „optimale Erfahrung” – wie flow auch genannt wird – ihren Namen zurecht.
Was flow nicht ist
Doch Vorsicht! Verwechseln Sie den Bewusstseinszustand flow nicht mit mentaler Höchstleistung oder visionärer Träumerei. Dafür stehen zwei andere positive Zustände, die ebenfalls wissenschaftlich untersucht werden: Peak performance und peak experience [1]. Der flow-Zustand oszilliert dazwischen, vereint die Vorteile und vermeidet die Nachteile.
Im Konzept von NOWtation steht flow als Bewusstseinszustand in einem engen Zusammenhang mit einem funktionierenden Workflow oder Scrum Flow — doch es ist nicht dasselbe. An anderer Stelle gehe ich näher darauf ein [2].
In der Organisationsforschung wird flow mit wichtigen messbaren Faktoren korreliert: Dazu zählen Engagement, Commitment und Arbeitszufriedenheit.
flow und Engagement
Der flow-Zustand ist eng verknüpft mit Arbeitsengagement. Engagement wird definiert die intrinsische Bereitschaft einer Person, sich mit Energie und Hingabe in berufliche Aufgaben einzubringen. Engagement ist ein wichtiger Indikator in der Führungsarbeit, zum Beispiel in der situativen Führung von Hersey und Blanchard [3]. Engagement stellt in der Werteorientierten Organisationsentwicklung von Richard Barrett neben Entropie den wichtigsten Faktor der Unternehmensleistung dar [4]. Auch deutschsprachige Experten wie Boris Grundl sehen die Förderung des Engagements der Mitarbeiter als eine wesentliche Aufgabe einer Führungskraft [5].
Die flow-Erfahrung während einer Tätigkeit ist – im Unterschied zum generellen Engagement — von kürzerer Dauer, steht aber in enger Beziehung zur langfristigen Motivation [6].
flow und Organizational Committment
Der Gallup Engagement Index untersucht seit 2001 die emotionale Bindung von Mitarbeitern. In der aktuellsten Studie geben 71 Prozent der deutschen Beschäftigen an, eine geringe bis keine Bindung zum Arbeitgeber zu erleben.
Möglicherweise würde mehr flow-Freundlichkeit zu besseren Werten beitragen, denn flow-Erlebnisse während der Arbeit stehen in positivem Zusammenhang mit der emotionalen Bindung zum Unternehmen. Je mehr flow, desto höher die emotionale Bindung zur Organisation. Wenn eine hohe Verbundenheit zur Firma mit täglichen flow-Zuständen zusammen kommt, dann erhöhen sich Engagement und Vitalität der Mitarbeiter. Das zeigt eine Untersuchung von Forschern der Technischen Universität und der ISM Dortmund [7].
flow und Arbeitszufriedenheit
Auch die Einstellung zum eigenen Beruf hängt mit flow-Erlebnissen zusammen. Forscher der Universität Padua weisen einen Zusammenhang zwischen flow und „work satisfaction” nach, der allerdings moderat ausfällt. Demnach können Mitarbeiter während der Arbeit flow erleben, obwohl sie mit ihrem Job insgesamt unzufrieden sind [8]. Immer noch besser, als nur unzufrieden zu sein.
Ein Beispiel:
LEGO SERIOUS PLAY
flow erhöht die intrinsische Motivation, eine Tätigkeit auszuüben und „nebenbei Ergebnisse zu produzieren”. Damit ist die flow-Forschung gestartet: „Experiencing flow in work and play”, lautet eine der ersten Publikationen [9]. Ist es Zufall, dass Arnold Bakker, Professor für Arbeitspsychologie in Rotterdam, flow mit „Playful Work Design” verknüpft? [10] Und ist es nur gutes Marketing, dass Gaming-Ansätze in kurzer Zeit durch die Decke gehen? Nein. Erfolgreiche Methoden wie LEGO® SERIOUS PLAY® berufen sich explizit auf das flow-Konzept [11].
Der Wert von flow-Zuständen für Unternehmen liegt darin, dass Mitarbeiter spielerisch aus ihrer Tätigkeit Sinn schöpfen, Aufgaben effizienter ausführen, ihr Handlungsspektrum erweitern und dazu noch Ergebnisse liefern. Deshalb ist flow der „emissionsfreie Kraftstoff” für die volle Entwicklung von Menschen und Organisationen. Haben Sie schon einmal einen guten Design Thinking Prozess miterlebt? Oder arbeiten Sie in einem funktionierenden Scrum Team. Dann wissen Sie, was ich meine.
flow erhöht die Effizienz
Unternehmen bezahlen Mitarbeiter, damit sie im Sinne des Unternehmens Leistung erbringen. Den positiven Zusammenhang zwischen flow und Leistung sehen nicht nur die Ulmer Psychologen Johannes Keller und Anne Landhäußer, die sich auf experimentelle Studien beziehen [12]. Auch Stefan Engeser und Falko Rheinberg von der Universität Potsdam zeigen an mehreren Untersuchungen, dass flow die Performance vorhersagt [13]. Ein australisches Forscherteam um Susan Jackson findet bei Athleten eine positive Auswirkung von flow-Erleben auf die Leistungseinschätzung und eine negative Auswirkung auf die Fehlerwahrscheinlichkeit [14]. Insgesamt betrachtet erhöht flow insbesondere die Effizienz in der Ausführung einer Tätigkeit.
flow steigert die Kreativität
In der Sprache einiger CEOs würde ich wiefolgt formulieren: flow steigert die Innovationskraft. In einem präzisen Verständnis meint Kreativität die neuartige Kombination von Ideen und Dingen. Innovation bedeutet, dass diese Dinge für das Unternehmen und die Kunden einen Nutzen erbringen [15].
Zwischen flow-Zuständen und der kreativen Qualität eines Produkts bestehen signifikante Zusammenhänge. Das fand ein internationales Forscherteam aus Taiwan, China und den USA heraus, wobei die Qualität durch externe Personen bewertet wurde [16]. Dass tägliche flow-Zustände den kreativen Output von Mitarbeitern erhöhen, zeigen Jakob Stollberger und Maike Debus. Das englisch-schweizerische Forscherteam untersuchte dazu 44 Vollzeit-Beschäftigte [17]. In einer sehr aktuellen Studie zeigen auch Nicola Schutte und John Malouff, dass mehr flow-Erleben mit kreativeren Ergebnissen zusammenhängt. Die Innovativität der Ergebnisse wurde durch objektive Beobachter mittels eines standardisierten Verfahrens beurteilt [18].
flow verbessert Flexibilität
flow und Flexibilität. Zu diesem Zusammenhang liefert die Neurowissenschaft spannende Erkenntnisse. Spätestens hier dürfen die Agile-Fans und Mindset-Entwickler aufwachen!
Die von Arne Dietrich begründete Theorie der Transienten Hypofrontalität geht davon aus, dass im flow ein Ausgleich zwischen zwei wichtigen Systemen im Gehirn stattfindet. Das implizite System, oder „default system”, verarbeitet Informationen mit hoher Effizienz. Das explizite System, oder „executive system”, arbeitet mit hoher Flexibilität [19].
Wenn im flow beide Systeme einen Kompromiss schließen, dann fallen uns Wechsel leichter. Denken Sie zum Beispiel an den Wechsel von Perspektiven, wenn Führungskräfte eine Situation ganzheitlich betrachten wollen. Im flow funktioniert also nicht nur das Bewusstsein, sondern auch das Gehirn optimal. Corinna Peifer von der Ruhr-Uni-Bochum unterstützt diese These in einem Sammelwerkbeitrag [20].
Die Wirkungen zwischen flow, Achtsamkeit, Flexibilität und postformalem Denken untersuchen Sinnott und Kollegen in einer aktuellen Studie [21]. Postformales Denken ist ein enorm flexibler Denkstil, den wir in Krisen – und generell in der VUCA-Welt — dringend brauchen.
flow stiftet Sinn im Tun
Optimale Erlebnisse stiften Sinn: nicht nur in der Arbeit, sondern während der Ausführung einer Tätigkeit. Aus meiner Sicht sollten wir dann von „Purpose-Driven Companies” oder von sinnvoller Arbeit sprechen, wenn Mitarbeiter den Sinn auch im Tun erleben. Eben weil Sinn so abstrakt ist, wäre es hilfreich, ihn mehr in die Tätigkeit verlegen: sozusagen näher ins NOW.
Die akademische flow-Forschung hat sich von Beginn an die Frage gestellt, warum Menschen intrinsisch zu einer Aktivität motiviert sind [22]. Zwischendurch hat sie sich in den Verwirrungen der Glücksforschung und Positiven Psychologie verloren [23]. Unbestritten bleibt jedoch: Wenn flow während einer beruflichen Tätigkeit erlebt und erkannt wird, erfährt der Mensch direkt Sinn.
Dass die Kultur dabei eine Rolle spielt – aber eben nicht die einzige – untersucht eine Mailänder Forschungsgruppe um Antonella Delle Fave. In zahlreichen interkulturellen Studien kommen sie zu einem Fazit: flow-Erleben bildet den Kern für die lebenslange Sinnkonstruktion [24].
Sofortige Wirkung, wenig Nutzen?
Die Wirkungen des flow-Zustands lauten: Effizienz, Kreativität, Flexibilität, und Sinn. Diese direkten Effekte treten sofort ein, aber sind von kurzer Dauer.
Doch welchen Nutzen hat flow auf lange Sicht?
Eine wichtige Frage, aber sie ist falsch gestellt— zumindest für die Zeit, in der wir leben. Wir leben in einer Zeit von hoher Dynamik. Aufgeklärter flow ist der Zustand, der dieser dynamischen Welt gesund begegnet. Davon bin ich überzeugt.
Zugleich bleibt flow zeitlich begrenzt. Bewusstseinszustände sind per Definition zeitlich begrenzt. Niemand kann über mehrere Stunden in einem gesunden flow sein, es sei denn, Sie nehmen Drogen oder haben den Bezug zu allen Realitäten verloren. Das ist weder flow, noch ist es gesund.
Jederzeit Strukturen schaffen
Die bessere Frage wäre: Wie schaffen wir in Unternehmen langfristige Strukturen, um kurzfristige flow-Zustände wahrscheinlicher zu machen? Das ist die Vision von NOWtation.
Dafür müssen wir verstehen, dass flow-Zustände und deren positive Wirkung von strukturellen Bedingungen beeinflusst werden. Diese Bedingungen liegen in vier Bereichen: im Bereich des Arbeitsverhaltens, im Bereich der Organisationsstruktur, im Bereich der Team- und Unternehmenskultur sowie im Bereich des Mindset.
Die Meinung, dass alles flow-freundlicher wird, wenn man in einem Bereich an einer einzigen Stellschraube dreht, ist in einer dynamischen Welt schlichtweg Bullshit.
NOWtation unterstützt dabei
Unser flow-Konzept ordnet die flow-Bedingungen in ein systemisches Modell aus zehn Elementen. Es hilft Menschen und Organisationen in der ganzheitlichen Positionsbestimmung. Ist Ihre Position bestimmt, können Sie sofort die nächsten Schritte gehen, um langfristige flow-freundliche Strukturen zu schaffen.
Warum sollten wir auf langfristige Wirkungen warten, wenn wir sie jetzt beeinflussen können? Veränderung beginnt im Jetzt — oder, um es globaler zu sagen: im NOW.
Quellen
[1] Privette, G. (1983). Peak experience, peak performance, and flow. Journal of Personality and Social Psychology, 45, 1361-1386.
[2] Sirch, S. (2020, 15. Mai). Flow-Arten. Abgerufen 28.05.2020, von www.nowtation.com/flow-arten
[3] Hersey, P., Blanchard, K. H., & Natemeyer, W. E. (1979). Situational leadership, perception, and the impact of power. Group & Organization Studies, 4, 418-428.
[4] Barrett, R. (2016). Werteorientierte Unternehmensführung. Springer.
[5] Grundl, B., & Schäfer, B. (2007). Leading Simple. Gabal.
[6] Fullagar, C. J., Delle Fave, A., & Van Krevelen, S. (2017). Flow at work: The evolution of a construct. In C. J. Fullagar & A. Delle Fave (Eds.), Flow at work: Measurement and implications (pp. 1-26). Routledge.
[7] Rivkin, W., Diestel, S., & Schmidt, K.-H. (2018). Which daily experiences can foster well-being at work? Journal of Occupational Health Psychology, 23(1), 99–111.
[8] Maeran, R., & Cangiano, F. (2013). Flow experience and job characteristics. TPM, 20(1), 13-26.
[9] Csikszentmihalyi, M. (1975). Beyond Boredom and Anxiety: Experiencing Flow in Work and Play. Jossey-Bass.
[10] Bakker, A. B., & van Woerkom, M. (2017). Flow at work: A self-determination perspective. Occupational Health Science, 1(1-2), 47-65.
[11] [Background]. (o.D.). LEGO® SERIOUS PLAY®. https://www.lego.com/en-us/seriousplay/background
[12] Landhäußer, A., & Keller, J. (2012). Flow and its affective, cognitive and performance-related consequences. In S. Engeser (Ed.), Advances in flow research (pp. 65-85). Springer.
[13] Engeser, S., & Rheinberg, F. (2008). Flow, performance and moderators of challenge-skill balance. Motivation and Emotion, 32, 158-172.
[14] Jackson, S. A., Thomas, P. R., Marsh, H. W., & Smethurst, C. J. (2001). Relationships between flow, self-concept, psychological skills, and performance. Journal of Applied Sport Psychology, 13(2), 129-153.
[15] Runco, M. A. (2014). Creativity: Theories and themes. Elsevier.
[16] Yang, X., Cheng, P.-Y., Lin, L., Huang, Y. M., & Ren, Y. (2019). Can an integrated system of electroencephalography and virtual reality further the understanding of relationships between attention, meditation, flow state, and creativity? Journal of Educational Computing Research, 57(4), 846-876.
[17] Stollberger, J., & Debus, M. E. (2019). Go with the flow, but keep it stable? The role of flow variability in the context of daily flow experiences and daily creative performance. Work & Stress, 12(19), 1-17.
[18] Schutte, Nicola S., & Malouff, John M. (2020). Connections between curiosity, flow and creativity. Personality and Individual Differences, 152, 109555.
[19] Dietrich, Arne (2004). Neurocognitive mechanisms underlying the experience of flow. Consciousness and Cognition, 13, 746-761.
[20] Peifer, Corinna (2012). Psychophysiological correlates of flow-experience. In S. Engeser (Ed.), Advances in flow research (pp. 139-164). Springer.
[21] Sinnott, J., Hilton, S., Wood, M., & Douglas, D. (2020). Relating flow, mindfulness, cognitive flexibility, and postformal thought: Two studies. Journal of Adult Development, 27(1), 1-11.
[22] Csikszentmihalyi, M., & LeFevre, J. (1989). Optimal experience in work and leisure. Journal of personality and social psychology, 56(5), 815-822.
[23] Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: Das Geheimnis des Glücks. Klett-Cotta.
[24] Delle Fave, A., Massimi, F., & Bassi, M. (2011). Psychological selection and optimal experience across cultures: Social empowerment through personal growth. Springer.
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